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Thomas Haugg, Kreisgeschäftsführer des BRK-Kreisverbandes Augsburg-Land © Marisa Metzger

Interview mit Thomas Haugg, dem Kreisgeschäftsführer des BRK Kreisverbandes Augsburg-Land

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Bayern. Im Jahr 2020 starben 6.455 Menschen in Bayern an einem Herzinfarkt. Wir haben bei Herrn Thomas Haugg, dem Kreisgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes im Landkreis Augsburg-Land, nachgefragt, was zu tun ist, wenn jemand einen Herzinfarkt erleidet.
GRplus: Guten Tag Herr Haugg. Vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit nehmen, einige Fragen zum Thema „Erste Hilfe bei einem Herzinfarkt“ zu beantworten.
Haugg: Ja, sehr gerne.

GRplus: Herr Haugg, wie lange sind Sie denn schon beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) aktiv?
Haugg: Ich bin jetzt 53 Jahre alt und bin bereits mit 18 Jahren zum BRK gekommen. Ich habe damals den sogenannten Ersatzdienst gemacht: Es gab die Möglichkeit zwischen Wehrdienst und Ersatzdienst zu wählen. Nach meinem Führerschein habe ich dann also beim Roten Kreuz meinen Ersatzdienst geleistet und seither bin ich an Bord. 2011 ist dann die Stelle des Verwaltungsleiters frei geworden. Da ich den Verband, der übrigens ehrenamtlich geführt ist, durch mein eigenes Ehrenamt schon lange kannte und ich durch meine frühere Tätigkeit als Unternehmensberater ganz gut in die Verwaltung passte, wurde ich Verwaltungsleiter. Seit 2015 bin ich, als Nachfolger von Günther Geiger, Kreisgeschäftsführer.

GRplus: Fahren Sie als Kreisgeschäftsführer auch heute noch auf Einsätze?
Haugg: Lacht und zeigt auf seine Einsatzkleidung. Ja! Ich bin ehrenamtlich immer noch bei der BRK-Motorradstreife, da wird man als First-Responder häufig auf Einsätze geschickt. Das ist auch spannend an der Arbeit: Du weißt nie, was dich erwartet. Das können recht einfache Fälle sein, aber auch schwere Unfälle. Und zudem fahre ich noch – so wie heute euch – ehrenamtlich als Einsatzleiter im Rettungsdienst.

GRplus: Sie sind ja nun schon viele Jahre bei Einsätzen vor Ort. Unser heutiges Thema ist der akute Herzinfarkt. Spielt der Herzinfarkt eine große Rolle im Einsatzalltag?
Haugg: Herzkreislaufprobleme zählen auf jeden Fall zu den häufigsten Notfällen. Wir hatten übrigens mal eine ganz spannende  Auswertung, um direkt einen Bogen zur Ersten Hilfe zu spannen. Man meint häufig, mich erwischt es nicht. Doch die meisten Fälle sind interne Notfälle wie etwa Herzkreislauf-Problematiken. Man kennt also in der Regel die betroffene Person. Dadurch verändert sich sofort die Einstellung zur Ersten Hilfe. Wie oft es sich bei Einsätzen aufgrund von Herzkreislaufproblemen genau um einen akuten Herzinfarkt handelt, kann ich nicht sagen. Das hängt auch von der Jahreszeit ab. Im Winter machen Herz-Kreislauf-Problematiken prozentual weniger Fälle aus, denn da kommen Stürze und Knochenbrüche einfach etwas häufiger vor. Im Sommer dagegen treten die Herzkreislaufprobleme häufiger auf. Man kann auch nicht wirklich eine Risikogruppe ausmachen. Es heißt oft, die dickeren Menschen, die Älteren und die Kettenraucher betrifft es. In meiner persönlichen Erfahrung spielt das inzwischen alles eher eine untergeordnete Rolle. Ich habe auch schon eine fünfzehnjähriges Mädchen reanimieren müssen. Die meisten Notfälle bzw. Einsatzgründe sind eben nicht, wie man das vielleicht denkt, Verkehrsunfälle. Die sind mit etwa zwei Prozent eher untergeordnet.

GRplus: Welche Symptome deuten denn klassisch auf einen Herzinfarkt hin?
Haugg: Der Klassiker ist immer das Ziehen und der Schmerz im linken Arm. Das ist auch das, was man aus Filmen oft kennt: Da hat jemand Schmerzen im linken Arm und dann könnte einen Herzinfarkt erleiden.
Patienten geben auch oft einen Druckschmerz hinter dem Brustbein an. Manchmal strahlt es in den Bauch, Nacken oder sogar in den Rücken aus. Das sind verschiedene Hinweise, die für ein Herzereignis sprechen. Alleine aber der Hinweis, dass der linke Armt schmerzt, muss nicht ausreichend sein. Wie gesagt, wenn man Schmerzen im Genick hat, kann es auch vom Herzen her kommen. Die Sicherheit kann nur ein EKG geben. Das muss man dann anschauen.

GRplus: Gibt es Unterschiede bei den Symptomen zwischen Mann und Frau?
Haugg: Frauen beschreiben die Symptome in der Regel nicht so stark. Lacht. Das ist wie mit dem klassischen Männerschnupfen. Bei meiner Mutter war es zum Beispiel so, dass sie einen sogenannten stummen Infarkt hatte. Man hat erst später im EKG Infarktnarben gesehen. Sie selbst hatte den Herzinfarkt gar nicht gespürt. Das kam erst später bei einer Untersuchung auf. Wenn man sich unsicher fühlt, sollte man es anschauen lassen. Weitere Symptome können auch das Gefühl, dass eine tonnenschwere Last auf einem liegt, Angstzustände, Panikattacken, unregelmäßiger Puls oder Herzstolpern sein. Oder man denkt einfach, es stimmt etwas nicht im Körper. Das können alles Warnsignale sein.

GRplus: Das hört sich jetzt so an, als wäre es schwer auszumachen, ob tatsächlich ein Herzereignis vorliegt. Wann gilt es, den Notruf zu rufen?
Haugg: Immer wenn es wehtut. Normal ist es so, ein Herzinfarkt entsteht erst. Herzinfarkt bedeutet, es kommt zum Verschluss eines Herzkranzgefäßes. Das Herz ist umspannt mit Herzkranzgefäßen, um den Herzmuskel mit Sauerstoff - respektive mit Blut - zu versorgen.  Die Herzkranzgefäße entspringen direkt der Hauptschlagader. Nun kann es durch verschiedene Faktoren dazukommen, dass sich die Gefäße verengen. Das tut bereits weh. Das ist das Krankheitsbild der Angina pectoris, der Verengung der Herzkranzgefäße.
Die Schmerzen treten zum Beispiel bei Belastung auf, weil das Herz dann nicht mehr genug Sauerstoff bekommt. Die Steigerung dazu ist eben der Verschluss eines Herzkranzgefäßes, was dann letztendlich zu einer Sauerstoffminderversorgung des betroffenen Gebietes führt und – sofern man nichts dagegen unternimmt – zum Absterben des Areals. Wenn man das dennoch überlebt, bleiben meist Folgeschäden. Man ist etwa nicht mehr so belastbar, Treppensteigen wird zu einer Herausforderung, usw.
Wenn Symptome auftreten, ist man bereits in der kritischen Situation. Daher sollte man dann direkt einen Notruf absetzen. Lieber einmal zu viel rufen, als zu wenig.

GRplus: Wenn jemand in meiner Umgebung einen Herzinfarkt erleidet, was kann ich als außenstehende Person tun?
Haugg: Erste Hilfe leisten. Das heißt: Erstmal sollte man den Notruf absetzen oder absetzen lassen. Meistens stehen eh genug Menschen dabei, die alles besser wissen. Danach ist es wichtig, die betroffene Person anzufassen, um ihre Bewusstseinslage zu checken. Ist sie ansprechbar? Gibt sie Schmerzen an? Kann ich mit ihr reden? Wenn die Person ansprechbar ist, dann ist die erste Maßnahme auf jeden Fall die Beruhigung. Das wirkt sich positiv auf die Herzfrequenz und die Gesamtsituation aus. Und wenn man sich in einem geschlossenen Raum befindet, sollte man die Fenster öffnen, damit die Person Frischluft bekommt. Wichtig dabei ist auch, die Person möglichst hochzulagern, also in eine Sitzhaltung zu bringen und sie vielleicht ein bisschen zuzudecken. Dabei wenn möglich den Rücken abstützen und die Person ein bisschen abschirmen. Fatal wäre jedoch, die Person in eine Schocklage zu bringen. Dadurch würde ein geschwächtes Herz durch das zurückfließende Blut aus den Beinen noch mehr belastet werden, was dann den gegenteiligen Effekt hätte von dem, was man erreichen will. Und ich möchte noch mal betonen: Meistens kennt man die betroffene Person. Es ist wichtig, trotzdem zu versuchen, ruhig zu bleiben.

GRplus: Und was tue ich, wenn die Person nicht mehr ansprechbar ist?
Haugg: Da geht „Schema F“ los: Notruf wählen oder wählen lassen und  den Puls am Hals kontrollieren. Am Hals deshalb, weil links und rechts vom Kehlkopf die beiden Hauptschlagadern zum Gehirn verlaufen. Wenn dort kein Puls mehr zu spüren ist, habe ich einen klassischen Herz-Kreislauf-Stillstand. Und beim Herzkreislaufstillstand heißt es: Reanimieren. Beatmen. Wobei mittlerweile das Drücken wichtiger angesehen wird als das Beatmen. Nachdem man aber die Person in der Regel kennt, kann man in der Regel auch beatmen, um die Sauerstoffversorgung zu gewährleisten.

GRplus: Bei meinem letzten Erste-Hilfe-Kurs, den ich beim BRK besucht habe, äußerten viele die Sorge, unter Aufregung zu vergessen, was sie tun sollen. Haben Sie Tipps, wie man sicherer werden kann?
Haugg: Trainieren. Die Befürchtung kenne ich, aber: Es ist nicht schwer und man macht sich, wie bei so vielen Dingen, viel zu viel Angst und Sorgen, was man falsch machen könnte. Dabei ist das einzige, was man falsch machen kann, nichts zu tun. Man macht sich Sorgen, dass man beim Drücken eine Rippe bricht. Das ist aber ganz normal, wenn ich den Brustkorb 5 bis 6 Zentimeter eindrücken muss, um effektiv das Herz zu komprimieren, um eine Pumpleistung aufzubauen. Da passiert es zwangsläufig, dass mal eine Rippe bricht. Und, Humor am Rande, da geht das Drücken dann auch einfacher. Lacht. Es ist natürlich ein hässliches Gefühl, wenn die Rippe bricht, aber vollkommen normal. Die Horrorstory, dass sich eine Rippe durch das Herz bohrt, ist mir noch nie untergekommen. Man muss wissen: Sollte ich jetzt umfallen, hätte ich noch circa zehn Minuten Sauerstoff im Blut. Das ist eine Menge Zeit. Daher heißt es erstmal: Drücken, drücken, drücken, um den Sauerstofffluss aufrechtzuerhalten. Das Beatmen ist sekundär. Wenn die Rettungskette greift, hat man allein durch Drücken gute Chancen, dass man überlebt.

GRplus: Wie kann ich denn trainieren?
Haugg: Erste-Hilfe-Kurse belegen. Da haben wir Puppen, deren Brustkorb einen ähnlichen Widerstand haben wie der Brustkorb eines Menschen. Da kann man das wunderbar trainieren und bekommt Feedback.

GRplus: Wie oft würden Sie empfehlen, einen Erste-Hilfe-Kurs zu besuchen?
Haugg: Man sagt in der Regel alle drei Jahre. Ich würde es aber jährlich empfehlen. Es schadet nie. Wir vom BRK bieten wöchentlich Kurse an. Der Kostenfaktor mit 55 Euro ist auch leistbar.

GRplus: Was liegt Ihnen noch am Herzen, wenn es um Erste Hilfe beim Herzinfarkt geht?
Haugg: Das Thema Frühdefibrillation. Das gehört mit dazu. In Kommunen gibt es an öffentlichen Plätzen diese inzwischen frei zugänglich. Der Frühdefibrillator ist für Laien gedacht. Es müssen nur die Elektroden geklebt werden und den Rest macht das Gerät. Deren Einsatz bei Personen mit Herzkreislaufstillstand hat sich extrem bewährt. Es muss ja nicht immer ein Herzinfarkt sein. Es kann jeden erwischen, dass das Herz so aus dem Takt gerät, dass es zum Kammerflimmern kommt. Es gibt beim Herzrhythmus eine sogenannte vulnerable Phase, das heißt wenn so ein Herzstolpern, eine Extrasystole genau in dieser Phase auftritt, kommt das Herz aus dem Takt und es flimmert. Das kann wirklich jeden erwischen. Das ist einem Herzkreislaufstillstand gleichzusetzen: Denn ich falle um, bin ohnmächtig und kann daran sterben. Ein Frühdefibrillator kommt eigentlich nur beim Herzflimmern zum Einsatz: Flimmert das Herz, kommt es zu keiner Auswurfleistung mehr. Das Herz zittert nur noch vor sich hin. Frühdefibrillatoren funktionieren dabei wie ein Resetknopf: Sie geben einen Elektroschock ab und setzen das flimmernde Herz auf Null. Dadurch wird dem Herzen die Chance gegeben, den dominanten Rhythmus wieder zu finden. Es ist wichtig, dass bei einem Herzkreislaufstillstand schnell gehandelt wird. Leitsatz ist: Pro Minute, in der nichts gemacht wird, sinkt die Lebenswahrscheinlichkeit um 10 Prozent. Nach 10 Minuten ist also, abhängig auch von äußeren Umständen wie etwa der Temperatur, die Überlebenswahrscheinlichkeit sehr gering. Sind mehrere Personen vor Ort und ein Frühdefribillator ist in erreichbarer Distanz, sollte eine Person unbedingt anfangen zum Drücken, bis jemand mit dem Frühdefibrillator zurück ist. Um auf den Erste-Hilfe-Kurs zurückzukommen: Selbstverständlich lernt man in den Kursen auch den Umgang mit den Frühdefibrillatoren. Also noch mal: Es ist nie verkehrt, in gewissen zeitlichen Abständen Erste-Hilfe-Kurse zu besuchen.
Thomas Haugg, Kreisgeschäftsführer des BRK-Kreisverbandes Augsburg-Land